Positionspapier: Auswirkungen der Corona-Pandemie auf Menschen mit Behinderungen
Die Fallzahlen steigen wieder – auch in Brandenburg mit unvorhersehbaren Entwicklungen – und bringen somit erneute Kontaktbeschränkungen bis hin zum abgeschwächten Lockdown mit sich. Für Menschen mit Behinderungen stehen jetzt die Aufrechterhaltung notwendiger Unterstützungen im Alltag sowie eine praktikable Verlagerung der Arbeit, der Bildung und der Freizeitgestaltung im Vordergrund. Insbesondere jetzt gilt es sich für die Herausforderungen von Menschen mit Behinderungen in der Pandemie zu sensibilisieren und sie zu unterstützen statt sie auszugrenzen.
Barrierefreier Informationszugang und Digitale Angebotsstrukturen
Menschen mit Behinderungen sowie Einrichtungen der Eingliederungshilfe müssen in einem zeitlich ausreichenden Rahmen barrierefreien Zugang zu aktuellen Informationen zum Pandemiegeschehen in Gebärdensprache, Brailleschrift sowie einfacher und leichter Sprache zur Verfügung stehen. Weiterhin müssen auch Beratungsangebote in Selbsthilfegruppen sowie Bildungsangebote auf Onlineplattformen, beispielsweise von Schulen und Universitäten, barrierefrei zugänglich sein. Dies hat in der ersten Pandemiewelle insbesondere mit der „Schul-Cloud“ nicht funktioniert. Auch viele Einrichtungen der Eingliederungshilfe verfügen über unzureichende digitale Ressourcen, um im Falle erneuter Besuchsbeschränkungen Bewohner*innen Zugang zu Telefon und Internet zu gewähren.
Der Landesbehindertenbeirat unterstreicht die Dringlichkeit einer zielführenden Kommunikation aktueller Pandemieverordnungen sowie einen barrierefreien Zugang zu digitalen Angeboten im Beratungs- und Bildungsbereich.
Sicherung der Leistungen in der Assistenz und bei Pflegebedürftigkeit
Durch die Pandemie leiden neben Krankenhäusern und Rehabilitationseinrichtungen auch Einrichtungen der Eingliederungshilfe einschließlich der aufsuchenden Dienste unter der drohenden Knappheit von Hygienemitteln und Schutzkleidung. Auch der Ausfall von Fachkräften in Assistenz und Pflege führt zu einer verstärkten Überbelastung von Angehörigen und der Vernachlässigung von Menschen mit Behinderungen. Der Landesbehindertenbeirat ruft daher zur Beachtung der Versorgungsstrukturen und Ressourcen im Bereich der Eingliederungshilfe, Pflege und in privaten Haushalten auf.
Test – und Impfstrategie in der Eingliederungshilfe und in Privathaushalten
Bei der Konzeptualisierung einer Teststrategie für die Eingliederungshilfe in Brandenburg muss beachtet werden, dass in vielen Einrichtungen kein medizinisches Fachpersonal beschäftigt wird und externe Dienstleister für die Durchführung von Corona-Schnelltests nötig sind. Menschen mit Behinderungen, insbesondere in Wohnstätten und Werkstätten, dürfen gegenüber Menschen in Pflegeeinrichtungen oder Bildungseinrichtungen nicht benachteiligt werden. Schließlich dürfen Menschen mit Behinderungen, die nach dem Arbeitgebermodell Assistenzen beschäftigen, nicht von der Teststrategie ausgeschlossen werden.
Hinsichtlich der nationalen Impfstrategie, müssen alle Menschen mit Behinderungen, die der Risikogruppe angehören, unabhängig von ihrer Wohnform sowie ihre Assistenzen und Mitarbeitenden vorrangig geimpft werden, um die Verbreitung des Virus bei Hochrisikogruppen einzugrenzen.
Beachtung der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerrechte
Beschäftigte in Werkstätten für Menschen mit Behinderungen können starke Lohnkürzungen, trotz der Ausgleichszahlung von 70 Mio. € der Bundesregierung zur Abmilderung der Einbußen durch die Corona-Pandemie, haben. Arbeitnehmer*innen wie auch Arbeitgeber*innen mit Behinderungen, die zur Risikogruppe gehören, müssen die Möglichkeit bekommen, der Pandemiesituation nach angemessen arbeiten zu können. Arbeitgeber*innen müssen für die Gefahrenlage für chronisch Kranke sensibilisiert werden und Letztere vor einer Kündigung aufgrund der Unvereinbarkeit von Homeoffice und Arbeitsleistung rechtlich geschützt werden.
Soziale Konsequenzen der Corona-Pandemie
Schließlich müssen Begegnungskonzepte für Menschen mit Behinderungen in besonderen Wohnformen erarbeitet werden, um präventiv gegen Vereinsamung, Depression und andere psychische Erkrankungen agieren zu können, die im Rahmen des sozialen Rückzugs, in dem sich viele Menschen mit Behinderungen seit Beginn der Pandemie zunehmend befinden, zunehmen können. Aber auch Einzelhaushalte und andere Wohnformen dürfen nicht vergessen werden, die in besonderem Maße unter dem andauernden sozialen Rückzug zu kämpfen haben und auf eine „Sommerpause“ in der Pandemie verzichten mussten. Unterstützende Angebote der Eingliederungshilfe dürfen nicht ausfallen und Versorgungsstrukturen müssen ausgebaut werden, auch bei Menschen mit Behinderungen, die aktuell keine Angebote der Tagesstruktur wahrnehmen können.
Die vielfältigen Auswirkungen der Corona-Pandemie führen bei Menschen mit Behinderungen zu hohen Belastungen und Veränderungen der Lebenssituation. Auch sie müssen gut durch die Corona-Zeit kommen und damit die Teilhabe auch und gerade unter Corona-Bedingungen gesichert werden kann, ist hier eine gesundheitliche Versorgung sicherzustellen.
In Hinblick auf die Corona-Pandemie müssen Menschen mit Behinderungen in ihrer Vielfalt betrachtet werden und von undifferenzierten Konzepten zu ihrem Schutz ist abzusehen. Einerseits müssen realitätsnahe, unterstützende Maßnahmen zur Aufrechterhaltung aller Bedarfe ergriffen und andererseits eine pauschale „Verlagerung“ aller Menschen mit Behinderungen in die eigene Häuslichkeit kritisch betrachtet werden. Der Schutz von Menschen mit Behinderungen muss ernst genommen werden, aber nicht zu ihrer totalen Isolation und Aufgabe der Bedürfnisse führen. Der politische Blick ist bei Menschen mit Behinderungen aktuell sehr von medizinischer Fürsorge geprägt und sollte aber ganzheitlich sein – Menschen mit Behinderung sind nicht nur chronisch Kranke, Pflegebedürftige oder Angehörige der Risikogruppe, sie sind gleichzeitig Arbeitnehmer*innen oder Arbeitgeber*innen, Schüler*innen oder Eltern.
Potsdam, den 08.12.2020
Die Fallzahlen steigen wieder – auch in Brandenburg mit unvorhersehbaren Entwicklungen – und bringen somit erneute Kontaktbeschränkungen bis hin zum abgeschwächten Lockdown mit sich. Für Menschen mit Behinderungen stehen jetzt die Aufrechterhaltung notwendiger Unterstützungen im Alltag sowie eine praktikable Verlagerung der Arbeit, der Bildung und der Freizeitgestaltung im Vordergrund. Insbesondere jetzt gilt es sich für die Herausforderungen von Menschen mit Behinderungen in der Pandemie zu sensibilisieren und sie zu unterstützen statt sie auszugrenzen.
Barrierefreier Informationszugang und Digitale Angebotsstrukturen
Menschen mit Behinderungen sowie Einrichtungen der Eingliederungshilfe müssen in einem zeitlich ausreichenden Rahmen barrierefreien Zugang zu aktuellen Informationen zum Pandemiegeschehen in Gebärdensprache, Brailleschrift sowie einfacher und leichter Sprache zur Verfügung stehen. Weiterhin müssen auch Beratungsangebote in Selbsthilfegruppen sowie Bildungsangebote auf Onlineplattformen, beispielsweise von Schulen und Universitäten, barrierefrei zugänglich sein. Dies hat in der ersten Pandemiewelle insbesondere mit der „Schul-Cloud“ nicht funktioniert. Auch viele Einrichtungen der Eingliederungshilfe verfügen über unzureichende digitale Ressourcen, um im Falle erneuter Besuchsbeschränkungen Bewohner*innen Zugang zu Telefon und Internet zu gewähren.
Der Landesbehindertenbeirat unterstreicht die Dringlichkeit einer zielführenden Kommunikation aktueller Pandemieverordnungen sowie einen barrierefreien Zugang zu digitalen Angeboten im Beratungs- und Bildungsbereich.
Sicherung der Leistungen in der Assistenz und bei Pflegebedürftigkeit
Durch die Pandemie leiden neben Krankenhäusern und Rehabilitationseinrichtungen auch Einrichtungen der Eingliederungshilfe einschließlich der aufsuchenden Dienste unter der drohenden Knappheit von Hygienemitteln und Schutzkleidung. Auch der Ausfall von Fachkräften in Assistenz und Pflege führt zu einer verstärkten Überbelastung von Angehörigen und der Vernachlässigung von Menschen mit Behinderungen. Der Landesbehindertenbeirat ruft daher zur Beachtung der Versorgungsstrukturen und Ressourcen im Bereich der Eingliederungshilfe, Pflege und in privaten Haushalten auf.
Test – und Impfstrategie in der Eingliederungshilfe und in Privathaushalten
Bei der Konzeptualisierung einer Teststrategie für die Eingliederungshilfe in Brandenburg muss beachtet werden, dass in vielen Einrichtungen kein medizinisches Fachpersonal beschäftigt wird und externe Dienstleister für die Durchführung von Corona-Schnelltests nötig sind. Menschen mit Behinderungen, insbesondere in Wohnstätten und Werkstätten, dürfen gegenüber Menschen in Pflegeeinrichtungen oder Bildungseinrichtungen nicht benachteiligt werden. Schließlich dürfen Menschen mit Behinderungen, die nach dem Arbeitgebermodell Assistenzen beschäftigen, nicht von der Teststrategie ausgeschlossen werden.
Hinsichtlich der nationalen Impfstrategie, müssen alle Menschen mit Behinderungen, die der Risikogruppe angehören, unabhängig von ihrer Wohnform sowie ihre Assistenzen und Mitarbeitenden vorrangig geimpft werden, um die Verbreitung des Virus bei Hochrisikogruppen einzugrenzen.
Beachtung der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerrechte
Beschäftigte in Werkstätten für Menschen mit Behinderungen können starke Lohnkürzungen, trotz der Ausgleichszahlung von 70 Mio. € der Bundesregierung zur Abmilderung der Einbußen durch die Corona-Pandemie, haben. Arbeitnehmer*innen wie auch Arbeitgeber*innen mit Behinderungen, die zur Risikogruppe gehören, müssen die Möglichkeit bekommen, der Pandemiesituation nach angemessen arbeiten zu können. Arbeitgeber*innen müssen für die Gefahrenlage für chronisch Kranke sensibilisiert werden und Letztere vor einer Kündigung aufgrund der Unvereinbarkeit von Homeoffice und Arbeitsleistung rechtlich geschützt werden.
Soziale Konsequenzen der Corona-Pandemie
Schließlich müssen Begegnungskonzepte für Menschen mit Behinderungen in besonderen Wohnformen erarbeitet werden, um präventiv gegen Vereinsamung, Depression und andere psychische Erkrankungen agieren zu können, die im Rahmen des sozialen Rückzugs, in dem sich viele Menschen mit Behinderungen seit Beginn der Pandemie zunehmend befinden, zunehmen können. Aber auch Einzelhaushalte und andere Wohnformen dürfen nicht vergessen werden, die in besonderem Maße unter dem andauernden sozialen Rückzug zu kämpfen haben und auf eine „Sommerpause“ in der Pandemie verzichten mussten. Unterstützende Angebote der Eingliederungshilfe dürfen nicht ausfallen und Versorgungsstrukturen müssen ausgebaut werden, auch bei Menschen mit Behinderungen, die aktuell keine Angebote der Tagesstruktur wahrnehmen können.
Die vielfältigen Auswirkungen der Corona-Pandemie führen bei Menschen mit Behinderungen zu hohen Belastungen und Veränderungen der Lebenssituation. Auch sie müssen gut durch die Corona-Zeit kommen und damit die Teilhabe auch und gerade unter Corona-Bedingungen gesichert werden kann, ist hier eine gesundheitliche Versorgung sicherzustellen.
In Hinblick auf die Corona-Pandemie müssen Menschen mit Behinderungen in ihrer Vielfalt betrachtet werden und von undifferenzierten Konzepten zu ihrem Schutz ist abzusehen. Einerseits müssen realitätsnahe, unterstützende Maßnahmen zur Aufrechterhaltung aller Bedarfe ergriffen und andererseits eine pauschale „Verlagerung“ aller Menschen mit Behinderungen in die eigene Häuslichkeit kritisch betrachtet werden. Der Schutz von Menschen mit Behinderungen muss ernst genommen werden, aber nicht zu ihrer totalen Isolation und Aufgabe der Bedürfnisse führen. Der politische Blick ist bei Menschen mit Behinderungen aktuell sehr von medizinischer Fürsorge geprägt und sollte aber ganzheitlich sein – Menschen mit Behinderung sind nicht nur chronisch Kranke, Pflegebedürftige oder Angehörige der Risikogruppe, sie sind gleichzeitig Arbeitnehmer*innen oder Arbeitgeber*innen, Schüler*innen oder Eltern.
Potsdam, den 08.12.2020