Gutachten zur Psychiatrieberichterstattung
- Erschienen am - PresemitteilungZur Verbesserung der Situation von psychisch schwer kranken Menschen hat das Land Brandenburg erstmals ein Gutachten zur sogenannten Psychiatrieberichterstattung vorgelegt. Ziel der Expertise, die auf eine Vereinbarung im Koalitionsvertrag zurückgeht und vom Gesundheitsministerium in Auftrag gegeben wurde, war es, die Häufigkeit und die Umstände von Zwangseinweisungen in der Psychiatrie sowie die Anwendung von Zwangsmaßnahmen gegen psychisch Kranke in Brandenburg zu erfassen und mögliche Wege zur Vermeidung solcher Maßnahmen aufzuzeigen.
Das „Gutachten zu den Möglichkeiten der Berichterstattung über Zwangseinweisungen in der Psychiatrie, die Anwendung von Zwangsmaßnahmen und deren Begleitumstände im Land Brandenburg“ wurde vom Institut für Psychiatrie und Psychotherapie der Medizinischen Hochschule Brandenburg (MHB) unter der Leitung von Prof. Dr. Martin Heinze erarbeitet. Eine der zentralen Empfehlungen ist der systematische Aufbau einer kontinuierlichen, versorgungssystemübergreifenden Psychiatrieberichterstattung im Land Brandenburg.
Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher: „Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen benötigen gut aufeinander abgestimmte Hilfen und Unterstützung. Bislang wurden die psychische Gesundheit und psychische Krankheiten im Rahmen der brandenburgischen Gesundheitsberichterstattung nur überblicksartig bearbeitet. Mit dem Gutachten zur Psychiatrieberichterstattung legen wir nun erstmals eine Erhebung vor, die vorhandene Daten zur zwangsweisen Unterbringung von psychisch Schwerstkranken im Land Brandenburg erfasst, bestehende Lücken aufzeigt und daraus Empfehlungen für die Zukunft ableitet. Damit Zwangsunterbringungen und -maßnahmen wie Fixierungen, Isolation und Medikation so weit wie möglich vermieden werden können, gleichzeitig aber die Sicherheit sowohl der erkrankten Personen als auch der Fachkräfte sowie der Allgemeinheit gewährleistet werden kann, gilt es, transparente Maßstäbe für eine qualitativ und quantitativ ausreichend gute Versorgung zu entwickeln. Dafür müssen alle beteiligten Akteurinnen und Akteure an einem Strang ziehen – die zuständigen Landesbehörden ebenso wie die Gesundheitsämter der Kommunen und die psychiatrischen Kliniken. Ich bedanke mich ausdrücklich bei diesen Akteurinnen und Akteuren, die in dem partizipativ angelegten Gutachtenprozess mit viel Energie konstruktiv mitgewirkt und das Gutachterteam mit ihrer Fachexpertise unterstützt haben.“
Psychisch schwer kranke Menschen können in Ausnahmefällen für sich und andere vorübergehend zu einer Gefahr werden. Wenn vorgelagerte Hilfen und Behandlungen nicht greifen, können sie unter strenger Abwägung der Verhältnismäßigkeit auch gegen ihren Willen in einem psychiatrischen Krankenhaus oder der psychiatrischen Abteilung eines Krankenhauses untergebracht werden. Eine zwangsweise Unterbringung psychisch Kranker ist eine freiheitsentziehende Maßnahme und stellt damit einen schweren Eingriff in die Grundrechte des Betroffenen dar. Ihr geht daher in Deutschland immer ein einheitliches gerichtliches Verfahren, das Unterbringungsverfahren, und ein richterlicher Beschluss voraus.
Unterbringungen werden in Brandenburg, wie die Betreuung, auf zivilrechtlicher Ebene – also bei der Unterbringung durch einen Betreuer – durch das Bürgerliche Gesetzbuch (§ 1906 BGB bzw. § 1631b bei Minderjährigen) und auf öffentlich-rechtlicher Ebene durch das Brandenburgische Psychisch-Kranken-Gesetz (BbgPsychKG) geregelt. Die Fachaufsicht über die Kliniken, die zu den zuletzt genannten Unterbringungen ermächtigt sind, liegt beim Landesamt für Arbeitsschutz, Verbraucherschutz und Gesundheit (LAVG).
Laut dem Gutachten verfügt Brandenburg im Bereich der freiheitsentziehenden Unterbringungen und ärztlichen Zwangsmaßnahmen nach Landesrecht (BbgPsychKG) über eine bessere Datenlage als viele andere Bundesländer, während es zu Unterbringungen und Zwangsmaßnahmen nach Bundesrecht weitaus weniger gute Erkenntnisse gibt. Für eine Verbesserung der Datengrundlage und den Aufbau einer kontinuierlichen Psychiatrieberichterstattung empfehlen die Gutachter eine Reihe von Maßnahmen, deren Umsetzbarkeit von der Unterstützung aller handelnden Akteurinnen und Akteure abhängt.
Das Gutachten macht deutlich: Das Unterbringungsgeschehen nach Landesrecht und nach Bundesrecht sind „kommunizierende Röhren“. Außerdem hat die Arbeit der Gesundheitsämter mit ihren sozialpsychiatrischen und kinder- und jugendpsychiatrischen Diensten erheblichen Einfluss auf die Unterbringungspraxis. Daher regen die Gutachter eine kluge Verknüpfung von Daten aus dem Aufsichtsgeschäft der Landesbehörden über die Kliniken, der gerichtlichen Unterbringungsverfahren und der Gesundheitsämter an. Eine Datenerhebung für Zwangsmaßnahmen nach Bundesrecht erfolgt auf freiwilliger Basis.
Weiterhin wird in dem Gutachten vorgeschlagen, einen Leitfaden zur qualitativen Erfassung der Umstände von Unterbringungen sowie ein Datenraster zur Erfassung der spezifischen Problemlagen bei besonders vulnerablen Patientinnen- und Patientengruppen wie Kinder und Jugendliche, Menschen mit Sprachbarrieren, Ältere sowie Menschen mit komplexem Hilfebedarf („Systemprüfende“) zu entwickeln.
Auch eine Verbesserung bei der Routinedatenerhebung im Rahmen der Fachaufsicht des LAVG gegenüber den psychiatrischen Kliniken regen die Gutachter an, zum Beispiel durch eine Integration von Daten zu Unterbringungen, die nach BGB angeordnet wurden, in die Berichterstattung der Fachaufsicht. Dazu könnten die Kliniken die freiwillige Berichterstattung in diesem Bereich weiter ausbauen. Weitere Daten könnten unter anderem über Landesbehörden, etwa Amtsgerichte und Betreuungsbehörden, generiert werden.
Eine zentrale Empfehlung der Gutachter ist eine zusammenhängende Betrachtung und Auswertung der nach Landes- und nach Bundesgesetzgebung erhobenen Daten durch alle zuständigen Behörden sowohl auf Landes- als auch auf kommunaler Ebene, ergänzt um eine Beschreibung der in den Kreisen und kreisfreien Städten vorhandenen Versorgungsressourcen, beispielsweise im Öffentlichen Gesundheitsdienst, in der ambulanten und stationären Versorgung oder im Rettungsdienst.
Schließlich wird in der Studie vorgeschlagen, die Datensammlung und Auswertungen jährlich fortzuschreiben, um über ein Monitoring Entwicklungen erkennen und darauf reagieren zu können. Dazu gehört es auch, Daten zu psychischen Erkrankungen (Epidemiologie) und zur allgemeinen sozialpsychiatrischen Versorgung, kombiniert mit Sozialraumdaten für die Öffentlichkeit sowie die Versorgungs- und Angebotsplanung im landesweiten und regionalen Gesundheits- und Sozialwesen zugänglich zu machen.
Im Jahr 2021 wurden in Brandenburg insgesamt 850 Menschen nach dem BbgPsychKG untergebracht, im Jahr 2020 waren es 801. 2019 belief sich die Zahl auf 877, 2018 und 2017 auf jeweils 855. Zum Vergleich: In der Allgemeinpsychiatrie wurden in Brandenburg laut Krankenhausstatistik wurden im Jahr 2021 insgesamt 31.446 Krankenhausfälle gezählt. Auch wenn die Daten bundesweit nur schwer vergleichbar sind und eine bundesweit vergleichende Berichterstattung in Deutschland bisher nicht existiert, lässt sich sagen, dass in Brandenburg im Bundesvergleich eher wenig Unterbringungen stattfinden.
Die Meldung der Unterbringungsfälle erfolgt auf Basis der Unterbringungskrankenhausverordnung gemäß § 10 BbgPsychKG und des Meldeerlasses des Landes.
Landesweit halten 18 Krankenhäuser eine Fachabteilung für Psychiatrie und Psychotherapie für Erwachsene vor, davon sechs Fachkrankenhäuser und zwölf Allgemeinkrankenhäuser. Die 18 Krankenhausstandorte verteilen sich auf fünf Versorgungsgebiete: Im Versorgungsgebiet Neuruppin befinden sich drei Krankenhausstandorte, im Versorgungsgebiet Schwedt sind es zwei, im Versorgungsgebiet Potsdam vier, in Cottbus sechs und Frankfurt (Oder) drei. Außerdem bestehen sechs Abteilungen für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie, die sich auf die Versorgungsgebiete verteilen. Alle genannten Einrichtungen haben den sogenannten Vollversorgungsauftrag für ihre definierte Region, das heißt, sie sind zur Versorgung aller Menschen in ihrer definierten Region verpflichtet, auch für schwerkranke Menschen, die öffentlich-rechtlich untergebracht werden.