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Hebammengutachten zeigt hohe Zufriedenheit mit aktueller Versorgung in Brandenburg

Herausforderungen für künftige Versorgung mit Hebammenhilfe: Rund ein Drittel der Hebammen erreicht in den nächsten zehn Jahren das Rentenalter, deutlicher Geburtenrückgang erwartet – Landesweiter Dialog zur Hebammenversorgung geplant

- Erschienen am 04.09.2023 - Pressemitteilung 198/2023
Ursula Nonnemacher und Dr. Monika Sander stellen Hebammengutachten vor

Drei von vier Müttern sind mit der stationären Hebammenversorgung und Geburtshilfe in Brandenburg zufrieden bis sogar sehr zufrieden. Die Zahl der Hebammen ist im Land deutlich gestiegen, allerdings wird ein Drittel der Hebammen in den nächsten zehn Jahren das Rentenalter erreichen. Das geht aus dem „Hebammengutachten Brandenburg“ des Berliner IGES Instituts hervor, das im Auftrag des Gesundheitsministeriums erarbeitet wurde. Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher stellte das Gutachten zur aktuellen und künftigen Versorgung mit Hebammenhilfe im Land Brandenburg gemeinsam mit Dr. Monika Sander, Projektleiterin für Gesundheitspolitik am IGES Institut, heute vor.

Gesundheitsministerin Nonnemacher: „Probleme in der Versorgung mit Hebammenhilfen stehen deutschlandweit auf der Tagesordnung. In Brandenburg ist es uns in den vergangenen Jahren gelungen, die Zahl der Hebammen zu erhöhen. Auch die hohe Zufriedenheit der Mütter mit der Versorgung ist sehr erfreulich. Allerdings spüren wir die Auswirkungen des demografischen Wandels in unserem dünn besiedelten Flächenland gleich doppelt: in den kommenden Jahren werden viele Hebammen in Rente gehen, und der deutliche Geburtenrückgang bereitet besonders Geburtskliniken in berlinfernen Regionen zunehmend Schwierigkeiten. Denn niedrige Geburtenzahlen in einer Klinik beeinträchtigen die Wirtschaftlichkeit und schränken die Ausbildungsmöglichkeiten ein. Dies erschwert zusätzlich die Gewinnung von neuem Personal. Mit dem Hebammengutachten liegen die notwendigen Daten vor, um die Versorgung mit Hebammenhilfe insbesondere im ländlichen Raum auch in Zukunft gezielt zu stabilisieren und weiterzuentwickeln. Hierzu laden wir alle Akteurinnen und Akteure im Land zu einem Dialog ein, um gemeinsam gute Wege für Brandenburg zu finden, auf den allumfassenden Strukturwandel und die sich ändernden Rahmenbedingungen zu reagieren.“

Dr. Sander, eine der vier Autorinnen und Autoren des Gutachtens, erklärte zu den Ergebnissen: „Brandenburg ist ein großes Flächenland und regional mit unterschiedlichen Herausforderungen bei der Hebammenhilfe konfrontiert. Während im Berliner Umland die Erreichbarkeit von Geburtskliniken sehr gut ist, müssen Schwangere in berlinfernen Regionen schon heute teilweise deutlich weitere Wege zur nächsten Klinik zurücklegen. Und weitere Schließungen von Geburtsstationen drohen. Ursachen sind sinkende Geburtszahlen, Personalmangel und Nachwuchsprobleme. Das IGES-Gutachten liefert dazu umfassende Daten, um empirisch fundiert drohende Versorgungsengpässe zu erkennen sowie gezielt und rechtzeitig Maßnahmen dagegen zu entwickeln. Vor allem die Sicherung des Hebammennachwuchses und neue Konzepte zur geburtshilflichen Versorgung in ländlichen Gebieten sind dringend gefordert. Dazu zählen etwa digitale, telemedizinische Angebote, ein Ausbau des Rettungswesens für geburtshilfliche Notfälle, aber auch zusätzliche Angebote von Unterkünften in Kliniken für Schwangere und ihre Familien.“

Aktuell sind 22 stationäre Geburtshilfen in Betrieb

Im Land Brandenburg verfügen gemäß Viertem Krankenhausplan insgesamt 25 Krankenhausstandorte über eine Geburtshilfe. Davon sind aktuell drei Geburtshilfen vorübergehend geschlossen: Rathenow (seit Januar 2021), Templin (seit Mitte April 2023) und Eisenhüttenstadt (seit Juli 2023).

Geburtenzahlen 2020 und 2021 auf dem Niveau von 2010 – 2022 deutlicher Rückgang

Im Jahr 2020 kamen in Brandenburg rund 19.000 Kinder zur Welt und damit – nach einem zwischenzeitlichen Anstieg – wieder etwa gleich viele wie im Jahr 2010. Regional gab es allerdings deutliche Unterschiede: Im Berliner Umland stieg die Geburtenzahl im Zeitraum von 2010 auf 2020 leicht an (+3,9 Prozent), während sie in den berlinfernen Regionen leicht zurückging (-2,3 Prozent). Die Bandbreite reichte von 14,5 Prozent mehr Geburten im Landkreis Teltow-Fläming bis zu 16,7 Prozent weniger Geburten im Landkreis Ostprignitz-Ruppin. Laut Statistikamt gab es in Brandenburg im Jahr 2021 19.029 Neugeborene, im Jahr 2022 waren es nur 17.439.

Im Jahr 2021 fanden in 24 Brandenburger Geburtskliniken insgesamt 14.928 Geburten statt. Dies ergibt durchschnittlich 622 Geburten je Brandenburger Geburtsklinik. Insgesamt wurden in elf dieser Kliniken weniger als 500 Geburten und in vier mehr als 1.000 Geburten registriert. Nach den aktuellsten vorliegenden Zahlen fanden im Jahr 2022 in 24 Geburtskliniken nur noch 13.659 Geburten statt.

Nach den Bevölkerungsprognosen wird es in den kommenden Jahren in Brandenburg einen Geburtenrückgang geben. Bis zum Jahr 2030 wird laut der mittleren Prognose die Geburtenzahl im Vergleich zu 2019 um 11 Prozent zurückgehen, dabei regional sehr verschieden: Während im Berliner Umland ein Minus von vier Prozent erwartet wird, sind es in berlinfernen Regionen bis zu minus 17 Prozent.

Die Kaiserschnittrate lag in Brandenburg im Jahr 2019 bei rund 26 Prozent und war im Vergleich zum Bund (knapp 30 Prozent) erfreulicherweise unterdurchschnittlich. Auf Einrichtungsebene variierte die Kaiserschnittrate in einem Spektrum von 20 bis zu 59 Prozent.

Zahl der beruflich aktiven Hebammen seit 2010 deutlich angestiegen

In Brandenburg sind aktuell schätzungsweise 601 Hebammen beruflich aktiv, davon ist rund ein Viertel sowohl freiberuflich als auch angestellt tätig. Die Zahl der freiberuflich tätigen Hebammen ist in den Jahren seit 2010 um 20 Prozent auf 503 (2021) gestiegen, die der angestellt tätigen Hebammen um 42 Prozent auf 248 (2020). Die Zahl der in Kliniken beschäftigten freiberuflichen Beleghebammen lag im Jahr 2020 mit 40 deutlich über dem Niveau von 2010 (17), ist aber seit ihrem Höchststand 2017 (57) kontinuierlich gesunken.

Rund ein Drittel der Hebammen erreicht in den nächsten zehn Jahren das Rentenalter

Im Jahr 2021 waren 35 Prozent der Hebammen 55 Jahre oder älter. Diese Hebammen erreichen damit in den nächsten zehn Jahren das Rentenalter. Dies betrifft auch die Geburtskliniken – dort überwiegen die angestellten Hebammen im Alter von 50 Jahren und älter mit einem Anteil von rund 43 Prozent. Für die Beleghebammen gilt dies in noch stärkerem Maße: Mehr als zwei Drittel sind mindestens 50 Jahre alt. „Hier ist abzusehen, dass es ohne grundsätzliche Änderungen bereits in wenigen Jahren kaum noch Beleghebammen in Brandenburg geben wird“, so die Gutachter.

Hebammenausbildung

Die aktuell in Brandburg tätigen Hebammen haben ihr Hebammenexamen zumeist außerhalb Brandenburgs abgelegt, nur knapp ein Viertel von ihnen (23 Prozent) tat dies in Brandenburg, rund 29 Prozent in Berlin und jeweils rund 12 Prozent in Sachsen bzw. Sachsen-Anhalt sowie weitere 24 Prozent in anderen Bundesländern und außerhalb Deutschlands. Auch von den aktuell in Brandenburg in Ausbildung befindlichen Hebammenschülerinnen plant knapp ein Drittel, nach dem Ende der Ausbildung eher nicht bzw. auf keinen Fall in Brandenburg zu bleiben.

Ausbau des Hebammenstudiengangs an der BTU empfohlen

Mit dem neuen Hebammengesetz, das Anfang 2020 in Kraft trat, wurde die Vollakademisierung des Hebammenberufs eingeleitet. Dementsprechend hat die Hebammenschule in Cottbus im Frühjahr 2022 den Schulbetrieb eingestellt, während die Hebammenschule in Eberswalde die gesetzliche Übergangsfrist ausschöpft und den letzten fachschulischen Ausbildungsjahrgang im Herbst 2022 begonnen hat. Parallel startete im Herbst 2021 an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg (BTU) der Studiengang „Hebammenwissenschaft“ mit 18 Studierenden im ersten Semester. Damit befinden sich im Land Brandenburg aktuell so viele Hebammen in der Ausbildung wie noch nie zuvor. Perspektivisch sollen die vorhandenen 35 Studienplätze besetzt werden. Wichtig ist es laut den Gutachtern, die vollakademisierte Hebammenausbildung an der BTU voll hochzufahren und sie so attraktiv zu gestalten, dass sich möglichst viele Abgängerinnen im Anschluss auch für eine Tätigkeit in Brandenburg entscheiden.

Gesundheitsministerin Nonnemacher: „Der Aufbau des Hebammenstudiengangs an der BTU startete erfolgreich am Campus Senftenberg im Herbst 2021. In diesem Herbst soll zudem ein zweiter Hebammenstudiengang in Brandenburg an der in Gründung befindlichen privaten Hochschule für Gesundheitsfachberufe in Eberswalde beginnen. Auch hier haben wir den gesamten mehrjährigen Planungs- und Gründungsprozess intensiv begleitet und fachlich beraten. Damit sind die Studienkapazitäten vorhanden, um auch in Zukunft ausreichend Hebammen für das Land Brandenburg ausbilden zu können.

Hohe Arbeitsbelastung bei Hebammen

Rund zwei Drittel der Hebammen arbeiten mehr, zum Teil viel mehr als gewünscht. In der klinischen Geburtshilfe machten fast alle Hebammen Überstunden, ein Drittel sogar in einem Umfang von mindestens 20 Stunden pro Monat. Mehr als die Hälfte der Hebammen gaben zudem einen deutlichen Anstieg der Arbeitszeit in den letzten Jahren an. Auch mehr als drei Viertel der angestellten Hebammen und mehr als zwei Drittel der freiberuflichen Hebammen in Brandenburg berichteten von einem teils deutlichen Anstieg der durchschnittlichen täglichen Arbeitsbelastung in den letzten fünf Jahren.

Trotz eines starken Zuwachses an in Brandenburg tätigen Hebammen bei kaum gestiegenen Geburtenzahlen hat die Arbeitszufriedenheit unter den Hebammen in Brandenburg laut Hebammengutachten abgenommen. Als Gründe dafür werden fehlende Wertschätzung, eine zu geringe Vergütung/Bezahlung, Arbeitsüberlastung und eine Zunahme des bürokratischen Aufwands genannt. Knapp die Hälfte der freiberuflich tätigen Hebammen plant konkret eine Reduzierung der Arbeitszeit in den nächsten fünf Jahren.

Hohe Zufriedenheit der Mütter mit der Hebammenversorgung

Mehr als drei Viertel der Mütter sind mit der stationären Hebammenversorgung und Geburtshilfe zufrieden oder sehr zufrieden, sowohl im Berliner Umland als auch in den berlinfernen Regionen. Mit der Betreuung auf der Wochenbettstation oder auf der Neu-/Frühgeborenenstation sind knapp zwei Drittel zufrieden oder sehr zufrieden. Ein Grund für diese geringere Zufriedenheitsquote dürften auch die durch die Corona-Pandemie bedingten Besuchs-Restriktionen gewesen sein, so die Gutachter.

Bei der Auswahl einer Klinik spielen für Frauen vor allem ihre gute Erreichbarkeit und die Versorgungsmöglichkeiten im Notfall (Neonatologie, Kinderklinik) eine Rolle. Insgesamt waren 87 Prozent der befragten Mütter mit der Erreichbarkeit ihrer Geburtsklinik eher oder sehr zufrieden.

Gesundheitsministerin Nonnemacher: „Schwangere Frauen und werdende Eltern haben das Bedürfnis nach Sicherheit und bestmöglicher, gut erreichbarer Versorgung, wenn es um die Geburt ihres Kindes geht. Eine ganz zentrale Rolle spielen neben der klinischen Geburtshilfe hierbei die Hebammen. Dabei ist neben der Begleitung der Geburt auch ein flächendeckendes Angebot freiberuflich tätiger Hebammen in der Vor- und Nachsorge unerlässlich für Mütter und Kinder in der Schwangerschafts- und ersten Lebensphase. Hier wollen wir die Hebammen-Förderrichtlinie auch über 2024 hinaus fortführen und nach einer Evaluation bedarfsorientiert weiterentwickeln.“

Hebammen-Förderrichtlinie des Landes Brandenburg

Mit der Hebammen-Förderrichtlinie unterstützt die Landesregierung seit August 2020 Hebammen finanziell bei der Ausbildungsbegleitung (Externat), bei der Gründung einer eigenen Praxis und bei Fortbildungen. Dafür stehen pro Jahr bis zu 250.000 Euro zur Verfügung.

Bis Ende 2022 wurden zum Beispiel 41 Praxisgründungen bzw. Neu-Niederlassungen von Hebammen und zwei Geburtshausgründungen unterstützt. In diesem Jahr sind bis Ende August im Rahmen der Hebammenförderrichtlinie bereits Zuwendungen für die Gründung von insgesamt 14 Hebammenpraxen bzw. Neu-Niederlassungen sowie einer Geburtshausgründung bewilligt. Brandenburg ist neben Bayern und Sachsen das einzige Bundesland, dass eine solche Förderung für Hebammen anbietet.

Die Förderung kann beim Landesamt für Soziales und Versorgung (LASV) beantragt werden: https://lasv.brandenburg.de/lasv/de/zuwendungen/gesundheit/.

Hintergrund zum Gutachten

Mit dem Hebammengutachten Brandenburg möchte das Gesundheitsministerium die notwendigen Datengrundlagen schaffen, um die Versorgung mit Hebammenhilfe im Land Brandenburg mittel- und langfristig sicherzustellen. Die Aufgaben des Hebammengutachtens sind daher: die bisherige, aktuelle und künftige Versorgungslage bis zum Jahr 2031 mit ambulanter und stationärer Hebammenhilfe regionalspezifisch zu ermitteln, regionalspezifische Handlungsbedarfe und Maßnahmen zu benennen, um gegebenenfalls bereits bestehenden oder zu erwartenden Versorgungslücken und -engpässen entgegenwirken zu können, sowie die künftig regelmäßig statistisch zu erfassenden Parameter zu benennen und die Studienplatzkapazitäten zu beziffern, die zur Herstellung der Versorgungssicherheit in den kommenden zehn Jahren notwendig sind.

Für die Untersuchung hatte ein IGES-Expertenteam Hebammen, Hebammenschülerinnen, Geburtskliniken und Geburtshäuser, Gesundheitsämter sowie gut 1.000 Mütter befragt, deren Kinder zwischen Mai 2020 und Juni 2021 geboren wurden. Ergänzend wurden Fachliteratur sowie Bevölkerungsstatistiken ausgewertet und Erreichbarkeitsanalysen durchgeführt.